Strohmarketerie Titelbild

Stroh im Schaufenster, nicht im Kopf

Läuft man in Schweinfurt die Neue Gasse entlang, mag man vor den Schaufenstern der Nummer 34 stutzig werden. “Strohmarketerie” wird dort den PassantInnen feilgeboten. Was sich hinter diesem selten gehörten Begriff verbirgt, erfährt man beim Betreten der Werkstatt schnell: Die Betreiberin Mélanie Richet klärt auf, dass es sich hierbei um kunsthandwerkliche Intarsienarbeiten handelt. Nur eben nicht, wie oftmals üblich, mit Holz, sondern mit Stroh.

„Wenn die Leute reinkommen, sind sie überrascht, was man mit Stroh machen kann. Sie können sich nichts vorstellen unter ‘Strohmarketerie’.”

Mélanie Richet

Ein Kunsthandwerk mit Geschichte

Die Strohmarketerie hat ihre Ursprünge im 17. Jahrhundert, ist heute jedoch sehr selten geworden. Die Dekortechnik mit gefärbten und geglätteten Strohhalmen, die als geometrische Muster oder kleine Bildchen aufgeleimt werden, kann zur Verzierung von Möbeln, Spiegelrahmen oder – und das macht Mélanie besonders gern – Schmuck verwendet werden.

Beistelltisch: Metall und Stroh

Die Träger des Strohs bezieht Mélanie, sofern es sich um Holz und nicht Metall handelt handelt, meistens von einer Schreinermeisterin aus Schweinfurt; einfach ein Holzbrett kaufen ist nicht drin: die Oberflächen müssen extrem glatt und die Kanten extrem sauber sein, weil Stroh nicht elastisch ist. Eine unsaubere Kante bedeutet ein unsauberes Ergebnis und das Licht bricht sofort an den kritischen Stellen.

„Stroh verzeiht nichts, es ist ein Material mit Charakter“

Mélanie Richet

Ende des 19. Jahrhunderts geriet die Strohmarketerie aus der Mode und in Vergessenheit. Heute erlebt sie in großen Luxushäusern wie Louis Vuitton, Guerlain, Armani Casa, Cartier oder Hermès eine kleine Renaissance.
Seid ehrlich, habt ihr euch bis zum letzten Satz amateurhafte Basteleien vorgestellt? Das ist es nicht – Juweliere verkaufen auch keine Fimo-Ketten.

Vom Hobby zur Beruf(ung)

Mélanie Richet kam wegen ihres Mannes vor 14 Jahren von Frankreich nach Schweinfurt. Zwar war sie in ihrer Ehe stets ökonomisch abgesichert, doch eine reine Hausfrauenrolle war nie auch nur eine Option. Darum war, als sie vor vier Jahren die künstlerische Arbeit mit Stroh zuerst als Hobby für sich entdeckte, der Entschluss zur Professionalisierung schnell gefasst. Sie ging in Paris bei der weltweit führenden Expertin Lison de Caunes für “Marqueterie de Paille”, wie die Strohmarketerie in Frankreich heißt, in die Lehre. Im November 2018 eröffnete sie ihre Werkstatt in Schweinfurt; in Deutschland hat sie nur vier Mitbewerberinnen, wobei jede einen eigenen Schwerpunkt hat. Mélanie zum Beispiel fertigt keine ganzen Wände an. Sie hat sich auf Schmuck spezialisiert, dazu Wandschmuck wie Spiegel und Kleinmöbel und Gegenstände wie Visitenkartenetuis.

Am “Tag der offenen Werkstätten” wird ein Einblick gewährt

Wer mehr über die Techniken der Strohmarketerie erfahren möchte, dem sei der 26.10 ans Herz gelegt. An diesem wird Mélanies Handwerksstube einer von über zehn teilnehmenden kunsthandwerklichen, handwerklichen und künstlerischen Schaffensorten sein, in dem Mann und Frau sich genauer über die jeweils verwendeten Techniken und zum übergreifenden Thema „Mit den Händen gemacht“ informieren können. Übrigens nimmt an diesem Tag auch Linda Gahn-Becker teil, die wir mit ihrer Chocolaterie schon bei #fraugründet vorgestellt haben.

NACHGEFRAGT BEI #FRAUGRÜNDET:

SIEHST DU EINE UNGLEICHBEHANDLUNG ALS FRAU IM VERGLEICH MIT MÄNNERN?

„Ungleichheiten in der Gesellschaft sind klar vorhanden.

Und DIE Referenz für die Strohmarketerie weltweit ist eine Frau.“

Mélanie Richet

WÄRST DU ALS MANN HEUTE WOANDERS?

„Ich wäre woanders, wenn ich nicht ausgewandert wäre. Auch als Mann hätte ich den Sprung nach Deutschland mit meiner Frau gewagt.“

Mélanie Richet
#fraugründet: Mélanie Richet

WIRST DU OFT NACH DEINER FAMILIÄREN SITUATION GEFRAGT UND WIE FINDEST DU DAS?

„Ich würde es nicht recht verstehen. Für mich ist Berufstätigkeit selbstverständlich. Ich bin Französin.“

Mélanie Richet

#FRAUGRÜNDET UND WÜNSCHT SICH …

„Als Frau war es für mich kaum problematisch, ich weiß aber, dass es Schwierigkeiten gibt.

In vielen Kulturen sind Frauen nicht besonders gut bewertet und wir meinen immer, bei uns wäre es besser; ist es nicht, es ist nur unsichtbarer.

Es geht darum, was du akzeptierst. Warum Hemden bügeln, wenn du nicht willst? Ich wünsche mir, dass jede Frau für sich selbst einsteht. Leider sind die Möglichkeiten dafür nicht überall gleich.

Als Gründerin habe ich jedoch einen konkreten Wunsch: Manchmal möchte ich mehr Informationen, um einfach zu wissen, wo ich Hilfe und Ansprechpartner kriegen kann.“

Mélanie Richet

Mélanie, bon courage et bonne continuation!

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Rebecca Hümmer
Rebecca Hümmer betreibt seit 2015 die Agentur hümmer kommunikation in Würzburg. So kann sie sich selbst gut in alle Themen rund um das Gründen hineinfinden und darf regelmäßig hier auf Gründen@Würzburg bloggen.
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